Die Goldenen Jahre des Rumelner Frauenfußballs
Text: Ferdi Seidelt – Fotos: privat/Getty Images/Andreas Probst
1993! Was war mit dem Frauenfußball? Nun, in Italien fand die erst fünfte (!) Europameisterschaft statt. Es nahmen teil gerade einmal vier Teams, unter ihnen auch Deutschland. Die Story ist schnell erzählt: Im ersten Spiel, was ja schon das Halbfinale war, verlor Deutschland gegen Italien 1:1 n. V., 3:4 i. E., dann die Partie um Platz drei mit 1:3 gegen Norwegen. Die damals fast 20-jährige Maren Meinert vom FC Rumeln-Kaldenhausen (erstes Länderspiel als 18-jährige am 9. Oktober 1991) sorgte in dieser Begegnung für den zwischenzeitlichen Ausgleich. Doch bevor wir einen Blick auf Meinerts Heimatverein werfen, kurz noch das, was danach die deutschen Frauen ablieferten:
Nach den beiden EM-Titeln 1989 und 1991 gab es die Erfolge Nr. drei und vier bei den Turnieren 1995 und 1997. Die vier folgenden Wettbewerbe, die nur noch alle vier Jahre stattfanden, gingen ebenfalls an das DFB-Team (2001, 2005, 2009, 2013). Inka Grings (FC Rumeln-Kaldenhausen, FCR Duisburg 1955, FCR 2001 Duisburg) ist bis heute mit zehn Toren die erfolgreichste EM-Torjägerin aller Zeiten (zusammen mit Heidi Mohr und Birgit Prinz).
„Getoppt“ wurde der fast ausschließlich deutsche Kontinental-Durchmarsch durch zwei WM-Titel (2003, 2007), drei olympische Bronze-Medaillen (2000, 2004 und 2008) und dem Olympia-Gold 2016.
In dieser Zeit emanzipierte sich der Frauenfußball zusehends. Sahen 1993 durchschnittlich 2900 Menschen ein Länderspiel, so registrieren die Stadien heute Zuschauer im fünfstelligen Bereich. Noch prächtiger entwickelten sich die Werte bei den Weltmeisterschaften: 1999 in den USA und 2011 in Deutschland waren jeweils fast 38.000 Sportsfreunde je Spiel in den Arenen.
Bei dermaßen prallen Vorgaben verwunderte es nicht, dass der Frauenfußball auch an der Basis im Aufwind war. So stieg 1993 der FC Rumeln-Kaldenhausen (nach gerade einmal 15 Spielzeiten Bestehen) in die Bundesliga auf und löste damit den bisherigen Rhein-Ruhr-Headliner KBC Duisburg ab. Die Kaßlerfelder Frauen waren in den 80er Jahren je einmal Deutscher Meister und Pokalsieger geworden und brachten sieben Nationalspielerinnen hervor: Sandra Alter, Gudrun Gottschlich, Sandra Hengst, Andrea Limper, Birgit Offermann, Claudia Reichler und Martina Voss hörten insgesamt 69 Mal die Nationalhymne, wobei Martina Voss ihren 23 Länderspielen für den KBC später noch weitere 88 hinzufügte. Das tat sie vornehmlich für Rumeln-Kaldenhausen, denn der KBC verschwand 1993/1994 erstaunlich rasch von der Bildfläche, die besten Kickerinnen heuerten flugs beim FCR an.
In Rumeln-Kaldenhausen gab es erstmals Mädchen- und Frauen-Kick 1977/1978 beim FC Rumeln-Kaldenhausen. Es dauerte gut 15 Jahre, da hielten die Macher ein weißes Tuch hoch: „Wir sind da - FC Rumeln - Damen-Bundesliga 1993“ stand dort zu lesen. Davor posierte ein Team, welches wenig später, am 15. August 1993, zum allerersten Bundesliga-Spiel lud. Gegner war die langjährige Frauenfußball-Größe KBC Duisburg. Die Partie ging mit 1:2 verloren - ein traumhafter Seitfallzieher der Kaßlerfelderin Sandra Müller korrigierte den zwischenzeitlichen Ausgleich durch die Rumelnerin Evelin Götzen.
Die allererste FCR-Bundesliga-Mannschaft vom legendären 15. August 1993 (Bergmann - Himmelmann, Stürmer, Heinbach, Ridders, Graf, Schmidt, Hildner, Götzen, Jagenburg, Meinert/eingewechselt Czichowlas, Bisigo) mit der allerersten Rumeln-Kaldenhausener Nationalspielerin Maren Meinert (92 Länderspiele) waren das eine, gleich 20 Frauen, die den Ortsteil über mehr oder minder viele Jahre international bekannt machten, das andere:
Fatmire „Lira“ Bajramaj Alushi (79*), Linda Bresonik (84), Nicole Ferber (1), Sonja Fuss (68), Jeannette Götte (8), Inka Grings (96), Melanie Hoffmann (36), Ursula Holl (5), Annike Krahn (137), Simone Laudehr (99*), Claudia Mandrysch (2), Jutta Nardenbach (59), Viola Odebrecht (49), Alexandra Popp (77*), Silke Rottenberg (126), Sandra Smisek (133), Kerstin Stegemann (191), Shelley Thompson (2), Martina Voss-Tecklenburg (125) und Luisa Wensing (22*) – hinzu kommen die U 19/20-Nachwuchs-Weltmeisterinnen Patricia Hanebeck, Elena Hauer, Marina Hegering, Turid Knaak, Kathrin Längert, Stephanie Mpalaskas und Anne van Bonn, die indes den Sprung in den A-Kader nicht schafften (* = noch aktuelle Nationalspielerinnen).
Welche Daten stechen bei den Rumeln-Kaldenhausener Kickerinnen in der Ära 1993 bis 2013 besonders heraus? Natürlich war es der glorreiche Champions League-Sieg, der am 22. Mai 2009 vor der Europarekord-Kulisse von 28.112 Zuschauern in der MSV-Arena gegen Zvezda Perm klar gemacht wurde. Nicht von schlechten Eltern war das allerletzte DFB-Pokal-Endspiel der Frauen am 30. Mai 2009 in Berlin, wo der FCR die wahrlich nicht schlechte Turbine aus Potsdam mit 7:0 in ihre Einzelteile zerlegte. Ähnlich spektakulär zeigte sich am 16. Mai 1998 das Pokalfinal-6:2 der Löwinnen gegen den FSV Frankfurt, an diesem Tag ging der Stern einer gewissen Inka Grings auf. Die begnadete Stürmerin war es auch, die am 21. Mai 2000 mit ihrem Siegtreffer gegen Frankfurt die bislang einzige Deutsche Meisterschaft, dann aber gleich mit 15 Punkten Vorsprung, sicherte.
Doch wie das Leben so spielt, ein Champions League-Sieg, eine Deutsche Meisterschaft, drei Pokal-Erfolge (das erste „Köln-Finale“ am 15. Mai 2010 vor 26.282 Zuschauern gewann der FCR 1:0 gegen Jena), dazu acht Vize-Meisterschaften und die Ehre, zusammen mit Praunheim/Frankfurt und Turbine Potsdam die „ewige Tabelle“ der Frauenfußball-Bundesliga anzuführen, reichten nicht aus, um zwei besonders schwarze Dienstage durchleiden zu müssen: Zum einen war es der 15. Januar 2013, an dem der Verein bekanntgab, einen Insolvenzantrag stellen zu müssen. Zum anderen der 25. Juni 2013, an dem der berüchtigte Gang zum Amtsgericht unausweichlich schien. Doch am Nachmittag gab es „weißen Rauch“. Möglich gemacht hatten das zwei Faktoren: Zum einen war es insbesondere der Stadt-Panorama-Spenden-Marathon, in dessen Schlepp dem Verein insgesamt 60.000 Euro zukamen und ein quasi-kommunales Retter-Komitee, das weitere 200.000 Euro für die Sicherung des Spielbetriebs zur Verfügung stellte. Was die Zeitung genau vorhatte, um den Verein zu retten, sehen Sie im folgenden Beitrag: bitte hier klicken
Selbstlos setzten sich sogleich die MSV-Legenden um Bernard „Ennatz“ Dietz für die Frauen ein: bitte hier klicken
So kam es am 31. Dezember 2013 gottlob zu einer ganz besonderen Situation: Am nächsten Tag, also am 1. Januar 2014, hieß das Rumeln-Kaldenhausener Frauenfußball-Wunder auf einmal „MSV Duisburg“. Der nämlich hatte sich als aufnehmender Retter-Verein richtig ins Zeug gelegt, monatelange Arbeit waren nicht vergebens. Quasi über Nacht wechselten das lebende Inventar und die Lizenzen von einem Verein zum anderen – ein Novum in den Abläufen von DFB und WFLV. Um das grün-weiße Sportgeschehen 1977/78 bis 1993 und 1993 bis 2013 wurde eine Kordel gebunden. Hohe Zeit, einmal die Goldenen Jahre des Mädchen- und Frauenfußballs aus verschiedenen Blickwinkeln zusammenzufassen.
Zu unseren Bildern (zum Vergrößern bitte anklicken):
1993 - Der Jubel kennt keine Grenzen, der FC Rumeln-Kaldenhausen ist in die Bundesliga aufgestiegen. Unser Bild zeigt stehend von links Trainer Johann Paul, Sabine Jagenburg, Sylvia Kahr, Evelin Götzen, Barbara Himmelmann, Marion Thulke (May), Daniela Aldenkott und Betreuerin Monika Hildner, hockend sind zu sehen von links Manuela Stürmer, Monika Ridders, Sabine Unbehaun, Simone Hildner und Gabi Bisigo, hinten halten Frauenfußball-Abteilungsleiter Friedhelm Käßberg (neben Paul) und Bruder Karlheinz (verdeckt) das Spannband (Bild: privat).
1998 - Der FCR Duisburg 1955 mit Shootig Star Inka Grings macht in Berlin gegen den FSV Frankfurt den ersten DFB-Pokalsieg perfekt. Die Mannschaft: Ursula McKnight - Melanie Hoffmann - Claudia Mandrysch, Jutta Nardenbach - Meike Fitzner, Daniela Arndt, Maren Meinert (70. Michaela Kubat), Martina Voss, Sandra Albertz - Jolanta Nieczypor (87. Christa Schäpertöns), Inka Grings. Die Tore: 1:0 Inka Grings (4.), 2:0 Jolanta Nieczypor (7.), 3:0 Maren Meinert (18.), 4:0 Nieczypor (30.), 4:1 Gaby König-Vialkowitsch (42.), 5:1 Grings (48.), 5:2 Katja Bornschein (52.), 6:2 Grings (90.) - Trainer: Jürgen Krust (Bild: Getty Images)
2000 - Der FCR Duisburg 1955 holt sich die Deutsche Meisterschaft (22 Spiele, 60 Punkte, 85:10 Tore, 38 Tore von Inka Grings), ein ganzer Stadtteil ist aus dem Häuschen. Tor: Melanie Höffkes, Kerstin Wasems; Abwehr: Sandra Albertz, Gülcay Bükrü, Iris Flacke, Jutta Heinbach, Melanie Hoffmann, Eva Kulot, Claudia Mandrysch, Stephanie Schubert; Mittelfeld: Nadine Adrian, Hiromi Katagiri, Miho Kinoshita, Sandra Reisinger, Sandra Smisek, Kerstin Stegemann, Martina Voss; Sturm: Inka Grings, Maren Meinert, Christa Schäpertöns; Trainer: Jürgen Krust (Bild: Andreas Probst)
2009 - Der FCR 2001 Duisburg gewinnt den UEFA Women's Cup, Vorläufer der UEFA Women's Champions League-Trophäe gegen Swesda 2005 Perm (6:0 in Perm, 1:1 in Duisburg). Die Aufstellung in der MSV-Arena (22. September 2009): Kathrin Längert (77. Christina Bellinghoven) - Anne van Bonn, Annike Krahn, Sonja Fuss, Alexandra Popp - Marina Hegering, Annemieke Kiesel (50. Jennifer Oster) - Femke Maes, Fatmire Bajramaj, Simone Laudehr (69. Turid Knaak) - Inka Grings (Bild: Bongarts/Getty Images)