Erbauender Gesang und erotische Kunst-Kalender
Text: Ferdi Seidelt - Fotos: Frank Augstein, Fritz Kress, Bianca Schmidt (4), Repros (3)
Telefoninterview 2017. Charline Hartmann lacht leise in sich hinein. Die mittlerweile 31 Jahre alte Stürmerin, die von 2001 bis 2004 und 2008/09 das grün-weiße Trikot trug, bildete anlässlich des DFB-Pokal-Endspiels 2003 mit Martina Voss und Petra Hauser die Stimmen-Offensive für das Löwinnen-Lied „Samba im Fuß“. Das singende Trio setzte eine kleine Tradition fort, denn schon für das Berlin-Finale 1998 ehrte der FCR seine Spielerinnen mit einem eigenen, auf eine Compact Disc aufgenommenen Song („22 Fußballbeine“). Diese Tonträger und aufsehenerregende Foto-Kalender ergänzten das „normale“ Fan-Portfolio wie Trikot, Schal und Mütze sowie Stadion-Magazin, Poster und Autogrammkarte.
Der klingende Silberling anno 1998 war (unter Nutzung des Instrumental-Playbacks von Nenas „99 Luftballons“) eine Berlin-„Remember-CD“ und ein Löwinnen-Motivation-Song zugleich. Manuela, Tochter von Frauenfußball-Freundin Ingrid Schwarz und bekannt für ihre schöne Singstimme, war schnell verhaftet: „Mannu, mach' es!“ Die Idee zu diesem PR-Clou hatte Stadionsprecher Gerd Moethe, der auch den Text lieferte. Kostprobe: „Zweiundzwanzig Fußballbeine wollen alle nur das eine, der Trainer hat's sich ausgedacht, vielleicht wird heut' ein Sieg gemacht.“ Insgesamt vier Strophen á acht Zeilen flossen in dieser Diktion aus seiner Feder, die CD war, so erinnert sich der damalige Abteilungsleiter Friedhelm Käßberg, ein gefragter Fanartikel. Das Projekt hatte der Verein finanziert, ein Verlustgeschäft dürfte es nicht gewesen sein. Den ganzen Song hören?
Zum Pokal-Finale 2003 war die Gefechtslage eine andere. Dirk Elfgen textete und komponierte einen eigenen und zeitlosen Text, in dem er die Leichtigkeit des Löwinnen-Kicks mit „Wir haben Samba im Fuß“ umschrieb. Hartmann erinnert sich gerne daran, wie das Musikstück entstand. Nach klassischem Muster sollte zuerst die ganze Mannschaft ran, doch schnell war die Taktik eine andere: „Charline, Pepe und Vossi werden in die Mikros schmettern.“ Hartmann zur Geburt der Vereinshymne im Schwafheimer Tonstudio: „Unser Gesang wurde mehrfach übereinander kopiert, das Ganze klang so wie ein Chor.“ Während „Mannu“ im Luftballon-Cover die Nena gab, haute Dirk Elfgen im Samba-Song eine Frage nach der anderen in die Kolonne, die Spielerinnen antworteten jeweils gut gelaunt. Stark gefördert wurde das professionelle Projekt von „Billit“ aus Düsseldorf, diesen Sponsor hatte Aufsichtsrat Joachim Bellinghoven an Land gezogen. Das komplette Meisterwerk genießen?
Noch spektakulärer waren die großformatigen Monatskalender 2000, 2001 und 2002, die schöne Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Spielerinnen zeigten. Das Besondere: Auf dem einen oder anderen Foto hat die abgebildete Löwin nichts oder nur wenig an – die intimen Bereiche waren für den Fotoapparat aber immer tabu. Dabei stand die australische Frauenfußballnationalmannschaft nur bedingt Patin. Die „Matildas“ hatten 1999 einen Akt-Kalender veröffentlicht und konnten dank der eindeutigen Form der sexualisierten Vermarktung die Startauflage von 5000 Exemplaren locker verzehnfachen. „Frau“ war in aller Munde und die Finanzierung der Kampagne zur Teilnahme an den Olympischen Spielen im Jahr 2000 souverän gesichert.
Die FCR-Kalender 2000 und 2001 wurden von der Duisburger Fotografin Heike Kaldenhoff gefertigt. Ende 1999 beschrieb Pascal Brückmann in der WAZ, wie sich DFB-Senior Egidius Braun, damals 74 Jahre alt, nach einigen, den Abverkauf anheizenden Boulevard-Schlagzeilen eiligst das Erstlingswerk zuschicken ließ, um es höchstpersönlich zu beäugen. Das Fazit des Präsidenten nach Betrachtung der 18 Fotos, die mehr durch dezente Erotik als durch nackte Tatsachen (wie bei den „Matildas“) glänzten: „Harmlos, kein Problem.“ Rheinische Post-Redakteur Achim Bertenburg flocht Kaldenhoff zum Start ihres zweiten Werks gar einen Lorbeerkranz: „Fußball-Puristen werden ihren Augen nicht trauen, Fans ohne Vorbehalte ihr Vergnügen finden, und Liebhaber der Schwarz-Weiß-Fotografie erwartet ein intellektuelles Abenteuer.“ Und später zur durchgängig attestierten Foto-Ästhetik: „Der Kalender ist ein Hauch von Erotik und Kommerz, also Kunst.“ Die Aufnahmen des Löwinnen-Kalenders 2002 kreierte Fotografin Bianca Schmidt aus Rheinhausen. Virtuos, individuell und einfühlsam fand die Foto-Künstlerin punktgenau für jede Spielerin das richtige Maß der Darstellung. Während die junge Linda Bresonik (links) vor einem Brückenbogen gesittet in einem Badeanzug posierte, lächelte die gleichaltrige Shelley Thompson (mitte) in ihrem Kleidchen engelsrein ins Objektiv. Freizügiger waren da zum Beispiel Inka Grings (rechts) und Martina Voss - jeweils der richtige Blickwinkel, feines Bodypainting, gekonntes Schattenspiel und eine symbolträchtige Location umschmeichelten textil-befreite Körper, das Ergebnis waren sehenswerte Kunstwerke.
Der dritte Erotik-Kalender sollte jedoch der letzte sein. Denn kaum waren die Aufnahmen im Kasten schockierte Mitte November 2001 ein Skandal die bundesweite Frauenfußball-Szene. Der FCR-Vorstand um Dieter Tiede und Carsten Schuparra hatte sich schützend vor mehrere Spielerinnen gestellt. Diese seien von Trainer Jürgen Krust sexuell bedrängt worden. Warum was letztendlich bewiesen werden konnte oder auch nicht (die Chefetage hatte versäumt, sich die Vorwürfe schriftlich bestätigen lassen), Aufsichtsratschef Knut Baak war die ganze Freizügigkeit – hier der von Krust als Freibrief gern zitierte „erotische Spannungsbogen“, dort die animierenden Haut-Aufnahmen – dann doch zu viel. 2003 gab es wieder den Kalender-Klassiker. Mit schönen Spielszenen. Wenig später folgte ein Verhaltenskodex. Doch das ist ein ganz anderes Kapitel.
Zu unseren Bildern (zum Vergrößern bitte anklicken):
Der umtriebige Gerd Moethe, ein Trinkhallenbetreiber vom Niederrhein, war über Jahre eine feste Größe im Helferteam des FCR, 1998 setzte der Stadionsprecher mit der Berlin-CD ein besonders markantes Zeichen.
Foto-Künstlerin Bianca Schmidt achtete auf jedes Detail, sie komponierte geradezu ihre Bilder. Auf unserem Bild schminkt sie Shelley Thompson für das November-Blatt des Kalenders 2002.
Als gelungenes Beispiel für die Motiv-Balance mag die Aufnahme von Dunja Krajac gelten. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war sie knapp 28 Jahre und schaffte beim FCR ein kleines Comeback.
Der wieder reine Sportfoto-Kalender 2003 präsentierte ein Dutzend der schönsten Spielszenen, die die Bildberichterstatter vom neu gegründeten FCR 2001 Duisburg geschossen hatten.